Compliance im Sozialversicherungsrecht ist einer der meist unterschätzen Aspekte bei der Unternehmensführung. Viele Unternehmen legen ihren Fokus oft auf Bereiche wie Steuerrecht und Arbeitsrecht, während das Sozialversicherungsrecht eher in den Hintergrund tritt. Dabei können Fehler in diesem Bereich ebenso finanzielle und rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, die weitreichende Auswirkungen auf die Geschäftstätigkeit haben. Viele Geschäftsführer einer GmbH sind sich der latenten Risiken aus dem Sozialversicherungsrecht gar nicht bewusst oder verlassen sich hier auf die Steuerberater, die in diesem Bereich keine Beratung oder gar Prüfung leisten können oder dürfen. Schon ein paar hoch dotierte freie IT-Mitarbeiter oder Software-Entwickler können für das Unternehmen fatale Folgen haben, wenn die Deutsche Rentenversicherung im Nachhinein eine Scheinselbständigkeit feststellt.

Ein effektives Compliance-Management muss das Sozialversicherungsrecht ebenso einbeziehen wie das Steuerrecht, Arbeitsrecht oder Umweltrecht, um Risiken zu minimieren und die Einhaltung aller relevanten Vorschriften sicherzustellen. Die Möglichkeit des Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a SGB IV bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) ist hierbei ein hilfreiches Werkzeug.

Allerdings ist darauf zu achten, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nach einem durchgeführten Statusfeststellungsverfahren nachträglich ändern können, sodass ein früherer Feststellungsbescheid seine Wirkung verlieren kann.

In diesem Artikel konzentrieren wir uns auf Fehler in der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung angestellter Geschäftsführer der GmbH oder freiberuflicher Mitarbeiter, die für das Unternehmen kostspielige Konsequenzen haben können. In diesem Sinne folgen drei Fälle aus meiner Kanzlei, die mich in den vergangenen Wochen beschäftigt haben. Zwei davon betreffen die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der GmbH-Geschäftsführer, der dritte Fall beschäftigt sich mit den Risiken, die sich im Zusammenhang mit freien IT-Mitarbeitern und Software-Entwicklern ergeben.

Inhalt:

  1. Sozialversicherungsrecht in der Praxis: Drei typische Fallstudien
  2. Compliance im Sozialversicherungsrecht in Deutschland
  3. Rechtliche Beurteilung der ausgewählten Fallgruppen

1. Sozialversicherungsrecht in der Praxis: Drei typische Fallstudien

Das Sozialversicherungsrecht in Deutschland mit seinen vielen Nuancen und Fallstricken ist für kleine und mittlere Unternehmen ein Bereich, der bei fehlerhafter Beurteilung der Sozialversicherungspflicht beschäftigter Personen existenzielle Risiken schafft. In diesem Kontext bieten die folgenden drei Fallstudien einen Einblick in typische Konstellationen und Probleme, die sich in der unternehmerischen Praxis ergeben können.

Fall 1: Sozialversicherungspflicht der Geschäftsführer eines Startups nach Kapitalerhöhung

Ein junges Startup in der Rechtsform einer GmbH ist auf Wachstumskurs und hat gerade seine zweite Finanzierungsrunde mit entsprechender Kapitalerhöhung erfolgreich abgeschlossen. Mit frischem Kapital möchten die drei geschäftsführenden Gesellschafter das Unternehmen weiter vorantreiben. Doch die zweite Kapitalerhöhung bringt rechtliche Konsequenzen mit sich, die zunächst unbeachtet blieben: Mit dem Eintritt weiterer Investoren in die Gesellschaft wurde der Anteil der Gründer am Stammkapital der GmbH insoweit verwässert, als die anfängliche Sperrminorität dadurch weggefallen ist. Die Statusfeststellungsbescheide der Deutschen Rentenversicherung zu Beginn der Beschäftigung der drei Gesellschafter-Geschäftsführer haben ihre Wirkung verloren, da sich die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben.

Fall 2: Beitragspflicht der Zahlungen auf Rechnungen der Geschäftsführer

In einer zweiten GmbH mit zwei geschäftsführenden Gesellschaftern rechnet einer der beiden Geschäftsführer mit einem Anteil am Stammkapital in Höhe von 49 % seine Leistungen für die GmbH regelmäßig per Rechnung ab. So hat es die Steuerberaterin empfohlen, weil das mehr Flexibilität erlauben würde. Die Zahlungen der GmbH an den Geschäftsführer werden als Fremdleistungen, Werbekosten und Beratungskosten gebucht. Sozialversicherungsbeiträge werden hierauf nicht abgerechnet oder abgeführt, da es sich ja nicht um Gehaltszahlungen handelt. Ist das so richtig?

Fall 3: Betriebsprüfung der DRV bei einem Softwareunternehmen

IT-Beratung und Softwareentwicklung gehören heute zu den am schnellsten wachsenden Sektoren in Deutschland. Ein mittelständisches Softwareunternehmen arbeitet seit Jahren mit mehreren freien IT-Mitarbeitern und Softwareentwicklern, die in verschiedenen Positionen eingesetzt werden, unter anderem im Support bei den Kunden der GmbH. Die meisten davon agieren als freiberufliche Einzelunternehmer und rechnen ihre Leistungen monatlich mit einem vertraglich vereinbarten Stundensatz ab. Zudem gibt es einen Softwareentwickler, der vor einem Jahr eine UG haftungsbeschränkt gegründet hat.

Angesichts einer angekündigten Betriebsprüfung durch die Deutsche Rentenversicherung hat der Beirat den Geschäftsführern empfohlen, die sozialversicherungsrechtlichen Risiken im Zusammenhang mit den freien Mitarbeitern zu prüfen und zu bewerten. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob die beauftragten Freelancer und IT-Mitarbeiter tatsächlich selbständig sind oder ob hier möglicherweise eine Scheinselbständigkeit vorliegt.

2. Compliance im Sozialversicherungsrecht in Deutschland

Diese drei Fallstudien zeigen, dass Compliance im Sozialversicherungsrecht in Deutschland eine Fülle von rechtlich schwierigen Fragen und Herausforderungen bereithält. Die Geschäftsführer von Unternehmen jeder Größe und Branche müssen daher wachsam sein und sicherstellen, dass sie die gesetzlichen Bestimmungen und Grundsätze des Sozialversicherungsrechts kennen und einhalten.

Die abhängige Beschäftigung eines Mitarbeiters in einem Unternehmen führt grundsätzlich zur Versicherungspflicht dieser Person in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (Sozialversicherungspflicht). Dies gilt sowohl für Arbeiter als auch Angestellte. Selbständige Unternehmer zählen dagegen prinzipiell nicht zum Kreis der versicherungspflichtigen Personen.

Ob eine abhängige Beschäftigung vorliegt, ist zunächst anhand der in § 7 Abs. 1 SGB IV genannten Merkmale zu entscheiden. Bei freien Mitarbeitern ist die Abgrenzung zwischen selbständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung (Scheinselbständigkeit) oftmals schwierig. Für die richtige Einordnung sind die Unternehmen zunächst selbst verantwortlich.

Im Zweifel können beide Parteien ein sog. Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung einleiten, was nur in Fall 1 tatsächlich geschehen ist.

Ist eine Versicherungspflicht zu bejahen, muss das Unternehmen als Arbeitgeber die Sozialversicherungsbeiträge abhängig vom Lohn oder Gehalt berechnen und jeweils die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge an die zuständige Krankenkasse abführen. Die Krankenkassen erfüllen insoweit die Aufgabe einer Einzugsstelle.

Wird anlässlich einer Betriebsprüfung durch die DRV eine bislang vom Unternehmen verneinte Versicherungspflicht eines Mitarbeiters festgestellt, ist das Unternehmen mit einer Nachforderung der Sozialversicherungsbeiträge für die vorangegangenen vier Kalenderjahre konfrontiert, die neben den Arbeitgeberanteilen auch die Arbeitnehmeranteile beinhaltet. Ein Regress der freien Mitarbeiter ist nur in sehr engen Grenzen möglich.

3. Rechtliche Beurteilung ausgewählter Fallgruppen im Sozialversicherungsrecht

Die rechtliche Beurteilung der Sozialversicherungspflicht geschäftsführender Gesellschafter einer GmbH oder freier Mitarbeiter in einem Unternehmen ist keine Angelegenheit für Steuerberater. Stattdessen ist hier das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung das richtige Werkzeug, um Rechtssicherheit zu erlangen. Allerdings ist zu empfehlen, im Vorfeld oder bei der Vorbereitung regelmäßig die Expertise eines Rechtsanwalts zu nutzen, um Überraschungen zu vermeiden.

Fall 1: Sozialversicherungspflicht der Geschäftsführer eines Startups nach Kapitalerhöhung

Der Fall 1 ist eine typische Falle im Sozialversicherungsrecht, da die Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens zu Beginn der Beschäftigung der geschäftsführenden Gesellschafter eine vermeintliche Sicherheit verleiht. Mit dem Eintritt weiterer Gesellschafter oder Investoren ändern sich jedoch die wesentlichen Verhältnisse, die den Feststellungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung getragen haben. Er verliert somit seine rechtliche Wirkung. Das ist übrigens bei jeder Änderung der Anteilsverhältnisse der Fall. Eine Beteiligung am Stammkapital der GmbH ist aus der Perspektive des Sozialversicherungsrechts nur dann beachtlich, wenn sie dem Gesellschafter-Geschäftsführer eine Rechtsmacht verleiht, die ihm einen maßgeblichen Einfluss auf Gesellschafterbeschlüsse ermöglicht. Das ist nur dann der Fall, wenn diese Beteiligung am Stammkapital eine umfassende Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung begründet. Sobald Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH diese wieder verlieren, sind sie wie abhängig Beschäftigte zu behandeln.

Fall 2: Beitragspflicht der Zahlungen auf Rechnungen der Geschäftsführer

Der Fall 2 ist für mich immer wieder erstaunlich, da hier die Steuerberater der GmbH regelmäßig in die Gestaltung involviert sind. Im Nachhinein gelingt es jedoch in den seltensten Fällen, eine aktive Beratung oder Empfehlung der Steuerberater nachzuweisen, sodass die GmbH auf dem hieraus resultierenden Schaden sitzen bleibt. Besitzt ein Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH keine umfassende Sperrminorität oder vergleichbare Sonderrechte, unterliegen sämtliche Zahlungen der GmbH an den betreffenden Geschäftsführer der gesetzlichen Versicherungspflicht. Hierbei spielt es keine Rolle, ob diese Zahlungen als Geschäftsführergehalt auf Basis eines Geschäftsführeranstellungsvertrages oder zum Ausgleich von ausgestellten Rechnungen erfolgen.

Fall 3: Betriebsprüfung der DRV

Der Fall 3 beschreibt ein eklatantes Risiko, das heutzutage viele Unternehmen in Deutschland bedroht, nicht nur Softwareunternehmen. Die Beauftragung vermeintlich selbständiger IT-Berater und Softwareentwickler ist keine Seltenheit und für viele ist das Statusfeststellungsverfahren der Deutschen Rentenversicherung ein bürokratisches und undurchsichtiges Monster, was es ja auch tatsächlich ist. Allerdings zeigt die aktuelle Rechtsprechung der Landessozialgerichte, dass eine korrekte Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit in vielen Fällen von kleinen Nuancen abhängig ist.

Selbst die häufig praktizierte Zwischenschaltung einer UG (haftungsbeschränkt) als Auftragnehmer war in den meisten Fällen keine Lösung, wie das BSG am 20.07.2023 entschieden hat, da eine natürliche Person ungeachtet ihrer Stellung als alleiniger geschäftsführender Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft als sozialversicherungspflichtiger Angestellter eines anderen Unternehmens betrachtet werden kann, wenn die tatsächlichen Umstände einer Tätigkeit in diesem Unternehmen auf eine abhängige Beschäftigung hindeuten. Dies gilt selbst dann, wenn ein schriftlicher Auftrag oder Vertrag nur zwischen der Kapitalgesellschaft und dem Auftraggeber besteht. Das Risiko der Haftung für nicht bezahlte Sozialversicherungsbeiträge trägt der Auftraggeber.

Muster und Vorlagen für Geschäftsführer:

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