Die beim Handelsregister hinterlegte Gesellschafterliste einer GmbH hat eine ausschlaggebende Bedeutung bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflicht eines geschäftsführenden Gesellschafters. Nach dem Urteil des BSG vom 13.03.2023 bestimmt sich die Rechtsmacht eines zum Geschäftsführer bestellten Gesellschafters einer GmbH – unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Stellung – nach dem aus der Gesellschafterliste erkennbaren Umfang seiner Beteiligung am Stammkapital, auch wenn diese Gesellschafterliste vor dem 01.11.2008 in das Handelsregister aufgenommen worden ist.

1. Die Gesellschafterliste der GmbH

Seit Inkrafttreten der GmbH-Reform zum 01.11.2008 ist die beim Registergericht hinterlegte und öffentlich einsehbare Gesellschafterliste einer GmbH die einzige Legitimationsgrundlage, aus der sich die Gesellschafter und deren Geschäftsanteile am Stammkapital der GmbH ergeben. Entsprechendes gilt für die UG (haftungsbeschränkt).

Nur aus dieser Gesellschafterliste ist zu entnehmen, wer Träger der Gesellschafterrechte ist und diese ausüben darf. Die Gesellschafterliste ist somit in vielerlei Hinsicht sehr relevant. Es mag überraschen, aber es kann durchaus vorkommen, dass die beim Registergericht hinterlegte Gesellschafterliste nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt. Das kann fatale Konsequenzen für die GmbH und die betroffenen Gesellschafter haben.

2. Die Bedeutung der Gesellschafterliste im Sozialversicherungsrecht

Auch bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflicht eines geschäftsführenden Gesellschafters hat die Gesellschafterliste eine immense Bedeutung. So hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 13.03.2023 (B 12 R 4/21 R) entschieden, dass die im Handelsregister öffentlich einsehbare Gesellschafterliste die einzig relevante Rechtsgrundlage zur Bestimmung der Gesellschafter und deren Rechtsmacht ist. Dies gilt unabhängig von der materiell-rechtlichen Rechtslage.

Die Rechtsmacht eines zum Geschäftsführer bestellten Gesellschafters einer GmbH beurteilt sich – unabhängig von dessen materiell-rechtlicher Stellung – nach dem aus der Gesellschafterliste erkennbaren Umfang seiner Beteiligung am Stammkapital, auch wenn die Gesellschafterliste vor dem 1.11.2008 in das Handelsregister aufgenommen worden ist.

BSG, Urteil vom 13.03.2023, B 12 R 4/21 R

Der Fokus dieses Rechtsstreits lag auf der Frage, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH in den Jahren 2013 bis 2014 versicherungspflichtig war, obwohl er nach Übernahme der Anteile eines dritten Gesellschafters in diesen Jahren bereits die Hälfte der Anteile besaß, aber laut Gesellschafterliste nur mit 49% am Stammkapital der GmbH beteiligt war.

2.1. Urteil des BSG zur Diskrepanz zwischen Gesellschafterliste und materieller Rechtslage

Das BSG hatte somit zu klären, wie die Diskrepanz zwischen einer fehlerhaften Gesellschafterliste und der tatsächlichen Anteilsverhältnisse aufzulösen ist. Während die Deutsche Rentenversicherung eine abhängige Beschäftigung des betroffenen Gesellschafter-Geschäftsführers feststellte und entsprechende Beiträge für die Jahre 2013 und 2014 nachforderte, argumentierte die GmbH unter Vorlage einer Abtretungsurkunde, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer entgegen den Eintragungen in der Gesellschafterliste über die Hälfte der Anteile (50%) verfügte.

Mit ihrer Revision rügte die GmbH die Verletzung von § 16 Abs. 1 GmbHG und verwies auf die materielle Rechtslage, nach der der beigeladene Gesellschafter-Geschäftsführer im streitgegenständlichen Zeitraum über 50% Anteile am Stammkapital der GmbH und deshalb über eine die abhängige Beschäftigung ausschließende Rechtsmacht verfügte. Die GmbH-Reform zum 1.11.2008 sei auf alte Gesellschafterlisten nicht anwendbar und berühre daher die nach früherer Rechtslage durch die ordnungsgemäße Anmeldung erworbene relative Gesellschafterstellung des Beigeladenen nicht.

2.2. Grundsätze zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit beim Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH

Das BSG hat die Revision der GmbH mit folgender Begründung zurückgewiesen: Ausgehend von den geltenden Maßstäben bei der Beurteilung der Sozialversicherungspflicht eines geschäftsführenden Gesellschafters der GmbH war der Beigeladene aufgrund einer Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt in dem hier streitigen Zeitraum versicherungspflichtig.

Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Stammkapital der GmbH beteiligt, muss die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit anhand des Umfangs der Kapitalbeteiligung und der sich daraus ergebenden Einflussnahme auf die Gesellschaft erfolgen. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbständig tätig. Vielmehr muss er über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der zumindest 50% der Anteile am Stammkapital hält oder bei einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt. Ohne diese gesellschaftsrechtlich eingeräumte Rechtsmacht ist auch ein geschäftsführender Gesellschafter nicht im “eigenen” Unternehmen tätig, sondern in weisungsgebundener, funktionsgerecht dienender Weise in die GmbH eingegliedert. Für die GmbH als Arbeitgeberin ergeben sich die gesetzlich festgelegten Melde- und Beitragspflichten.

2.3. Relevanz der gesellschaftsrechtlich eingeräumten Rechtsmacht

Die für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht muss grundsätzlich gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein, wobei das Erfordernis der Vorhersehbarkeit und Klarheit beitragsrechtlich relevanter Sachverhalte im Sozialversicherungsrecht zu beachten ist. Hiernach sind nur solche Rechtspositionen beachtlich, die für die Deutsche Rentenversicherung bereits zum Beginn des zu beurteilenden Zeitraums klar erkennbar waren.

Der Umfang der Beteiligung an einer GmbH bestimmt sich gemäß § 16 Abs. 1 GmbHG in der seit 01.11.2008 geltenden Fassung unabhängig von der materiellen Rechtslage ausschließlich nach den Eintragungen in der im Handelsregister aufgenommenen und öffentlich einsehbaren Gesellschafterliste. Diese durch das MoMiG in § 16 Abs. 1 GmbHG eingeführte formelle Legitimationswirkung gilt auch für die Gesellschafterlisten, die noch aus der Zeit vor Inkrafttreten der GmbH-Reform zum 01.11.2008 stammen.

2.4. Formelle Legitimationswirkung der Gesellschafterliste

Im Falle einer Veränderung der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung gilt als Inhaber des Geschäftsanteils nur derjenige, wer in der im Handelsregister aufgenommenen Gesellschafterliste (§ 40 GmbHG) eingetragen ist. Durch diese formelle Legitimationswirkung der Gesellschafterliste ergibt sich, dass nur dem in die Gesellschafterliste eingetragenen Gesellschafter die Mitgliedschaftsrechte zustehen, insbesondere das Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung. Auf die materielle Rechtslage kommt es nicht an (BGH, Urteil vom 20.11.2018, II ZR 12/17). Die Eintragung in der Gesellschafterliste begründet eine gesetzliche Fiktion. Die Legitimationswirkung gilt zugunsten wie auch zulasten der eingetragenen Personen (BGH, Urteil vom 2.7.2019, II ZR 406/17). Sie entfällt erst nach der Einreichung einer neuen oder berichtigten Gesellschafterliste ex nunc.

Die materiell-rechtliche Beteiligung und die formell-rechtliche Legitimation können somit auseinander fallen und sind grundsätzlich unabhängig voneinander. Ohne die Eintragung und die Aufnahme der Gesellschafterliste in das Handelsregister bleibt dem betroffenen Gesellschafter die Ausübung seiner Mitgliedschaftsrechte verwehrt (BGH, Urteil vom 10.11.2020, II ZR 211/19).

2.5. Erweiterung der formellen Legitimationswirkung auf “alte” Gesellschafterlisten vor dem 01.11.2008

Es war lange umstritten, ob die formelle Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG auch auf Gesellschafterlisten anwendbar ist, die noch aus der Zeit vor dem Inkrafttreten der GmbH-Reform zum 01.11.2008 stammen (offengelassen im Urteil des BGH vom 18.9.2018, II ZR 312/16 mit ausführlichen Hinweisen zum Meinungsstand).

Dieser Streit hat sich durch das Urteil des BSG vom 13.03.2023 nunmehr erledigt.

Aus sozialversicherungsrechtlicher Sicht spricht für die Anwendung der Norm ab ihrem Inkrafttreten am 01.11.2008 auch auf alte, vor dem MoMiG in das Handelsregister aufgenommene Gesellschafterlisten der Zweck des Gesetzes, Missbrauch zu bekämpfen, Transparenz über die Anteilseigner der GmbH zu schaffen und Geldwäsche zu verhindern, indem der Gesellschafterbestand stets aktuell, lückenlos und klar nachvollziehbar ist.

BSG, Urteil vom 13.03.2023, B 12 R 4/21 R

Ab 01.11.2008 kommt es zur Beurteilung der maßgebenden Verhältnisse im Sozialversicherungsrecht grundsätzlich nur noch auf die beim Handelsregister aufgenommene Gesellschafterliste an. Es gehört zudem zu den Aufgabe und Pflichten der Geschäftsführer, eine aktuelle und korrekte Gesellschafterliste beim Handelsregister zu hinterlegen. Eine fehlerhafte Gesellschafterliste haben sie zu verantworten, da es in ihrer Hand liegt, die Aktualität der Liste zu prüfen und ggf. zu berichtigen (BGH, Urteil vom 17.12.2013, II ZR 21/12).

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