Das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel hat in zwei ganz aktuellen Entscheidungen die Auffassung der Deutschen Rentenversicherung zur Sozialversicherungspflicht von Pflegern im ambulanten Pflegedienst und von Ärzten im Rettungsdienst bestätigt. Die vollständige Begründung der Urteile liegt noch nicht vor, aber schon aus den Pressemitteilungen lassen sich die zentralen Eckpunkte der Entscheidungen entnehmen, die aus meiner Sicht weit über den (ambulanten) Pflege- oder Rettungsdienst hinaus zu beachten sind.

BSG zur Sozialversicherungspflicht ambulanter Pfleger und Notärzte

Mit Urteil vom 19.10.2021 bestätigte das Bundessozialgericht (BSG) die Sozialversicherungspflicht einer Altenpflegerin, die von August bis Dezember 2014 als ambulante Pflegekraft für einen Pflegedienst in der Intensivpflege tätig war. Vertragliche Grundlage für die jeweiligen Einzeldienste war ein „Vertrag über die Konditionen, Fachaufsicht und Rechnungslegung“, in dem ein Stundenlohn von 25 Euro vereinbart wurde. Nach jeweiliger Annahme eines Auftrags wurde die Altenpflegerin in einen Dienstplan bei dem Pflegedienst aufgenommen und verrichtete ihre Dienste nach entsprechenden Vorgaben ihres Auftraggebers bei den Patienten.

Ebenfalls mit Urteil vom 19.10.2021 bestätigte das BSG in drei verschiedenen Fällen die Sozialversicherungspflicht freiberuflicher Ärzte, die im Nebenjob immer wieder als Notärztin bzw. Notarzt im Rettungsdienst tätig waren.

Begründung der Versicherungspflicht ambulanter Pfleger und Notärzte

In beiden Varianten bestätigte das BSG die Auffassung der Deutschen Rentenversicherung, dass eine abhängige Beschäftigung der Pfleger bzw. Ärzte bei ihren (vermeintlichen) Auftraggebern besteht. Im Ergebnis handelte es sich also um eine Scheinselbständigkeit mit den entsprechenden Konsequenzen für die Auftraggeber.

Ausschlaggebend für die Entscheidung war, dass die eingesetzten Ärzte und Pfleger während ihrer Tätigkeit in die betriebliche Organisation des “Auftraggebers” eingegliedert waren. So unterlagen die Notärzte im Rettungsdienst diversen Verpflichtungen bei ihren Einsätzen sowie einer einer zeitlichen und örtlichen Bereitschaftspflicht während der übernommenen Dienste. Dabei ist es nach Ansicht des BSG unerheblich, ob diese Verpflichtungen (auch) durch öffentlich-rechtliche Vorschriften vorgegeben werden (B 12 KR 29/19 R; B 12 R 9/20 R; B 12 R 10/20 R).

BSG zur Sozialversicherungspflicht ambulanter Pfleger

Im Rahmen der Entscheidung zur Sozialversicherungspflicht ambulanter Altenpfleger führte das BSG wie folgt aus:

Es bestand zumindest insoweit ein Weisungsrecht, als der konkrete Inhalt, die Durchführung und die Dauer der von der Pflegekraft geschuldeten fachgerechten Pflege der näheren Konkretisierung bedurften. So war neben der Zuweisung zu einem bestimmten Patienten in dessen Wohnung die Arbeitsleistung im Wesentlichen nach Maßgabe der Pflegeplanung und im arbeitsteiligen Zusammenwirken mit den anderen Mitarbeitern des Pflegedienstes zu erbringen. In die Arbeitsabläufe des Pflegedienstes war die Pflegekraft insbesondere über den Dienstplan eingegliedert. Diesen erstellte der Pflegedienst und ordnete die Pflegekraft mit ihren Schichten ein. Nach Auftragsannahme war die Klägerin mithin wie die beim Pflegedienst angestellten Pflegekräfte an den Dienstplan gebunden. Zudem sind die regulatorischen Vorgaben gem. § 71 Abs 1 SGB XI und Rahmenempfehlungen nach § 132a SGB V zu beachten, die einen hohen Organisationsgrad zur Qualitätssicherung voraussetzen.

BSG, Urteil vom 19.10.2021 (B 12 R 6/20 R)

Aus diesen Rahmenbedingungen folgt für den Regelfall die Eingliederung von Pflegefachkräften in die Organisations- und Weisungsstruktur des ambulanten Pflegedienstes. Dass die daraus folgende Einbindung als „Teil einer Kette“ von Pflegepersonen den regulatorischen Vorgaben entspricht und die notwendige Abstimmung in der Pflege überdies „in der Natur der Sache“ liegt, führt nicht dazu, dass diese Aspekte bei der Gesamtwürdigung außer Acht zu lassen sind.

BSG, Urteil vom 19.10.2021 (B 12 R 6/20 R)

Nach Ansicht des BSG kommt es also entscheidend darauf an, ob eine “Organisations- und Weisungsstruktur” vorliegt, in die sich die Mitarbeiter einfügen (müssen). Dies war bei den Pflegern und Notärzten ein Dienstplan. Ähnliches könnte man auch in einem Ticketsystem in der EDV-Branche erkennen.

Risiko der Scheinselbständigkeit freier Mitarbeiter enorm gestiegen

In diesem Sinne ist darauf hinzuweisen, dass die Zuweisung freier Mitarbeiter zu bestimmten Patienten, Mandanten oder Kunden in vielen Branchen eher die Regel als die Ausnahme ist. Hinzukommt, dass die Arbeitsleistung sehr häufig auch im “arbeitsteiligen Zusammenwirken mit anderen Mitarbeitern des vermeintlichen Auftraggebers” oder deren Kunden erfolgt.

Beide Entscheidungen des BSG dürften den Trend der Deutschen Rentenversicherung zur Feststellung einer abhängigen Beschäftigung auch in anderen Branchen und Bereichen deutlich verstärken. Wo auch immer freie Mitarbeiter regelmäßig auf Basis einer Vergütung nach geleisteten Arbeitsstunden eingesetzt werden, sind die Verhältnisse sehr genau auf eine vorliegende Scheinselbständigkeit zu prüfen. Im Zweifel ist der Auftraggeber gut beraten, von einer Scheinselbständigkeit auszugehen und das Risiko für die Nachzahlung von Beiträgen zu beziffern.

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