Ein weiteres Urteil des BSG vom 23.02.2021 befasst sich mit der Sozialversicherungspflicht des mittelbar beteiligten Geschäftsführers einer GmbH, an welcher er “nur” über eine Beteiligung am Stammkapital der Muttergesellschaft beteiligt ist. Zunächst wiederholt das BSG die Grundsätze zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der GmbH-Geschäftsführer unter Berücksichtigung einer mittelbaren Beteiligung an der Gesellschaft. Im Detail stellt das BSG dann heraus, dass die Verwaltung bestehender Beteiligungen an anderen Gesellschaften einschließlich der Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung einer Tochtergesellschaft zu den typischen Aufgaben der Geschäfsführer der Muttergesellschaft gehören. Eine einfache oder qualifzierte Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft ist nicht ausreichend, um den Geschäftsführern der Muttergesellschaft Weisungen zu erteilen, wie die Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung einer Tochtergesellschaft zu erfolgen hat.

Inhalt:

  1. Grundsätze zur Sozialversicherungspflicht des mittelbar beteiligten GmbH-Geschäftsführers
  2. Sachverhalt zum Urteil des BSG vom 23.02.2021 zur Sozialversicherungspflicht des mittelbar beteiligten GmbH-Geschäftsführers
  3. Statusfeststellungsverfahren zur Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft
  4. Urteil des BSG zur Sozialversicherungspflicht des mittelbar beteiligten Geschäftsführers einer Tochtergesellschaft
  5. BSG zu den Voraussetzungen einer mittelbar abgeleiteten Rechtsmacht im Sinne einer selbständigen Tätigkeit
  6. Verwaltung bestehender Beteiligungen regelmäßig Aufgabe der Geschäftsführer der Muttergesellschaft
  7. BSG zum Beherrschungsvertrag zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft

1. Grundsätze zur Sozialversicherungspflicht des mittelbar beteiligten GmbH-Geschäftsführers

Ob der Geschäftsführer einer GmbH unter Berücksichtigung einer mittelbaren Beteiligung am Stammkapital der GmbH abhängig beschäftigt und somit der Sozialversicherungspflicht unterliegt, richtet sich in erster Linie danach, ob er auf Basis des Gesellschaftsvertrages eine Rechtsmacht besitzt, ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern oder Beschlüsse zu beeinflussen, die sein Anstellungsverhältnis betreffen. Entsprechende Grundsätze zur Beurteilung der Sozialversicherungspflicht der mittelbar beteiligten GmbH-Geschäftsführer hat das BSG mit mehreren Urteilen vom 07.07.2020 und 08.07.2020 aufgestellt (BSG, Urteil vom 7.7.2020, B 12 R 17/18 R; BSG, Urteile vom 8.7.20200, B 12 R 26/18 R, B 12 R 2/19 R und B 12 R 4/19 R sowie B 12 R 6/19 R). Diese Urteile des BSG zur Sozialversicherungspflicht der GmbH-Geschäftsführer unter Berücksichtigung einer mittelbaren Beteiligung am Stammkapital der GmbH habe ich an dieser Stelle bereits umfangreich kommentiert. In diesen Streitfällen ging es in verschiedenen Konstellationen insbesondere um die Geschäftsführer der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG, an der sie wiederrum als Kommanditisten beteiligt waren.

2. Sachverhalt zum Urteil des BSG vom 23.02.2021 zur Sozialversicherungspflicht des mittelbar beteiligten GmbH-Geschäftsführers

Dem Urteil des BSG vom 23.02.2021 (B 12 R 18/18 R) liegt ein Streitfall zugrunde, in dem die Beteiligten darüber streiten, ob der Kläger in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer T-GmbH der Versicherungspflicht unterlag. Die Besonderheit liegt darin, dass deren Stammkapital zu 100% von der M-GmbH gehalten wird und zwischen beiden ein Beherrschungsvertrag besteht. Im Gesellschaftsvertrag der T-GmbH ist vereinbart, dass Beschlüsse in der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden.

Am Stammkapital der M-GmbH (beherrschende GmbH) ist der Kläger wiederrum mit 10% beteiligt, wobei in deren Gesellschaftsvertrag vereinbart ist, dass Beschlüsse der Gesellschafterversammlung einer qualifizierten Mehrheit von 91% der abgegebenen Stimmen bedürfen. Geschäftsführer der M-GmbH waren zunächst die vier weiteren Gesellschafter, nicht aber der Kläger und Geschäftsführer der T-GmbH.

Nach dem einstimmigen Beschluss der Gesellschafterversammlung der M-GmbH im Jahre 2014 “zur Geschäftsführung” in der T-GmbH “besteht Einigkeit darüber, dass grundsätzlich alle Entscheidungen nur mit einer qualifizierten Mehrheit von 91% gefasst werden können” mit der “Folge, dass die Sperrminorität auch auf alle Entscheidungen” der T-GmbH Anwendung finde. Zudem wurde per Gesellschafterbeschluss bestimmt, dass der Kläger “nicht durch einzelne Gesellschafter oder die Gesellschafterversammlung weisungsgebunden ist”. Ihm wurde gestattet, die beigeladene GmbH “in der Funktion eines Hauptgeschäftsführers alleinvertretungsberechtigt zu führen und nach außen zu vertreten”.

3. Statusfeststellungsverfahren zur Sozialversicherungspflicht des Geschäftsführers der T-GmbH

Im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahren stellte die Deutsche Rentenversicherung fest, dass der Kläger und Geschäftsführer der T-GmbH der Sozialversicherungspflicht unterliegt, die allerdings in dem Zeitpunkt endete, in dem er als weiterer Geschäftsführer der M-GmbH ins Handelsregister eingetragen wurde.

Im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens der T-GmbH gegen den Feststellungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung urteilte zunächst das SG Würzburg, dass die Tätigkeit des Klägers als Geschäftsführer der T-GmbH insgesamt nicht der Sozialversicherungspflicht unterlag. Das LSG Bayern hat dieses Urteil jedoch wieder aufgehoben und die Klage abgewiesen. Das Gesamtbild der Tätigkeit des Klägers spreche für eine abhängige Beschäftigung, da “seine Weisungsgebundenheit in der T-GmbH nicht durch seine Sperrminorität in der M-GmbH aufgehoben wurde”, solange er nicht (auch) deren Geschäftsführer gewesen sei. Eine Beschränkung der Geschäftsführer der M-GmbH im Hinblick auf Weisungen an die Geschäftsführer der T-GmbH ergebe sich weder aus der Satzung der M-GmbH noch aus einem Gesellschafterbeschluss . Außerhalb des Gesellschaftsvertrages bestehende Stimmbindungsabreden oder Vetorechte zwischen Gesellschafter-Geschäftsführern sowie anderen Gesellschaftern der GmbH seien ohnehin irrelevant. Auch der Beherrschungsvertrag führe zu keinem anderen Ergebnis.

4. Urteil des BSG zur Sozialversicherungspflicht des mittelbar beteiligten Geschäftsführers der T-GmbH

Der Kläger und mittelbar beteiligte Geschäftsführer der T-GmbH beantragte beim BSG die Aufhebung des Urteils des LSG Bayern und die Feststellung, dass er in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der T-GmbH nicht der Sozialversicherungspflicht unterlag. Das BSG hat die Revision des Klägers gegen das Urteil des LSG Bayern allerdings mit folgender Begründung zurückgewiesen:

Eine die Sozialversicherungspflicht ausschließende Rechtsmacht zur Verhinderung von Weisungen an sich als Geschäftsführer der T-GmbH verlieh ihm weder seine Beteiligung an der M-GmbH, noch der Beschluss der Gesellschafterversammlung der M-GmbH vom 2.10.2014, noch der zwischen der M-GmbH und der T-GmbH zustande gekommene Beherrschungsvertrag.

BSG, Urteil vom 23.02.2021, B 12 R 18/18 R

Der Geschäftsführer einer GmbH kann seine Tätigkeit grundsätzlich nur dann selbstständig ausüben, wenn er am Stammkapital dieser GmbH beteiligt ist (sog. Gesellschafter-Geschäftsführer). Bei einem Fremdgeschäftsführer scheidet eine selbstständige Tätigkeit grundsätzlich aus. Selbst ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, vielmehr muss er über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem geschäftsführenden Gesellschafter gegeben, der mindestens 50% der Anteile am Stammkapital hält. Bei einer geringeren Beteiligung am Stammkapital der GmbH kommt es darauf an, ob er nach dem Gesellschaftsvertrag über eine umfassende, die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt.

Nach diesen Kriterien war der Kläger als Geschäftsführer der T-GmbH sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Er war an deren Stammkapital nicht beteiligt. Alleinige Gesellschafterin war die M-GmbH, an deren Weisungen er als geschäftsführendes Organ der T-GmbH gebunden war. Solche Weisungen an ihn waren durch den Gesellschaftsvertrag der T-GmbH nicht ausgeschlossen.

BSG, Urteil vom 23.02.2021, B 12 R 18/18 R

5. BSG zu den Voraussetzungen einer mittelbar abgeleiteten Rechtsmacht im Sinne einer selbständigen Tätigkeit

Eine im Rahmen des Sozialversicherungsrechts beachtliche Rechtsmacht kann auch daraus resultieren, dass der Fremdgeschäftsführer einer GmbH kraft seiner Stellung als Gesellschafter einer anderen Gesellschaft in der Lage ist, Einfluss auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen der von ihm geführten Gesellschaft zu nehmen. Eine solche “mittelbare” (von der Beteiligung an einer anderen Gesellschaft abgeleitete) Rechtsmacht ist nur beachtlich, wenn sie ihrerseits im Gesellschaftsrecht wurzelt, also durch Gesellschaftsvertrag eindeutig geregelt ist und unmittelbar auf das zu beurteilende Rechtsverhältnis durchschlägt.

Entscheidend ist, ob dem GmbH-Geschäftsführer selbst und unmittelbar eine ausschlaggebende Einflussnahme auf die Gesellschafterbeschlüsse der von ihm geführten Gesellschaft möglich ist oder er zumindest ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern kann. Denn ein Geschäftsführer übt seine Tätigkeit nur dann selbstständig aus, wenn er zugleich kraft seiner Gesellschaftsanteile über die Rechtsmacht verfügt, auf die Beschlüsse der Gesellschaft einzuwirken, für die er die Geschäftsführung übernommen hat (BSG, Urteil vom 8.7.2020, B 12 R 26/18 R; BSG, Urteile vom 08.07.2020, B 12 R 2/19 R und B 12 R 4/19 R sowie – B 12 R 6/19 R).

Eine solche Rechtsmacht des GmbH-Geschäftsführers ist u.a. zu bejahen, wenn die Muttergesellschaft (hier die M-GmbH) mindestens 50% der Anteile an der Tochter-GmbH (hier die T-GmbH) hält und dem an der Muttergesellschaft beteiligten geschäftsführenden Gesellschafter durch deren Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit eingeräumt ist, Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft unmittelbar zu beeinflussen und damit zugleich ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern.

BSG, Urteil vom 8.7.2020, B 12 R 26/18 R

Allerdings kann die Gesellschafterversammlung einer Muttergesellschaft (hier die M-GmbH) auf die Ausübung von Gesellschafterrechten in einer Tochtergesellschaft (hier die T-GmbH) regelmäßig nur durch Weisungen an ihre Geschäftsführer Einfluss nehmen.

6. Verwaltung bestehender Beteiligungen regelmäßig Aufgabe der Geschäftsführer der Muttergesellschaft

Die Verwaltung bestehender Beteiligungen an anderen Gesellschaften einschließlich der Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung einer Tochtergesellschaft gehören zu den typischen Aufgaben und Pflichten der Geschäftsführer. Diese fallen daher grundsätzlich nicht in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung der Muttergesellschaft, wenngleich diese eine Allzuständigkeit besitzt und jede Angelegenheit an sich ziehen kann.

Denn bei den Geschäftsführungsmaßnahmen im Rahmen der Verwaltung bestehender Beteiligungen an anderen Gesellschaften einschließlich der Stimmabgabe in der Gesellschafterversammlung einer Tochtergesellschaft handelt es sich um eine gewöhnliche Geschäftstätigkeit.

BSG, Urteil vom 8.7.2020, B 12 R 4/19 R

Gesellschafterbeschlüsse auf der Ebene einer Tochtergesellschaft erfordern regelmäßig keinen zustimmenden Beschluss der Gesellschafter der Muttergesellschaft. Wollen die Gesellschafter der Muttergesellschaft ihre Rechte bzw. Willen in der Tochtergesellschaft in einer bestimmten Weise durchsetzen, bedarf es daher eines gesonderten Beschlusses mit einer ausdrücklichen Weisung an die Geschäftsführer (§ 37 Abs. 1 GmbHG).

In diesem Sinne konnte dem Kläger auch seine Beteiligung an der beherrschenden M-GmbH nicht die Rechtsmacht verleihen, jederzeit Weisungen der Gesellschafterversammlung der T-GmbH an sich zu verhindern. Er verfügte zwar über eine umfassende Sperrminorität in der Gesellschafterversammlung der M-GmbH, aber mangels Bestellung seiner Person zum Geschäftsführer der M-GmbH konnte er ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung der T-GmbH gleichwohl nicht verhindern.

Nicht die Gesellschafter der M-GmbH, sondern deren Geschäftsführer übten die Beteiligungsrechte in der Gesellschafterversammlung der T-GmbH aus. Der Gesellschaftsvertrag der M-GmbH regelte weder eine abweichende Zuständigkeit für Maßnahmen der gewöhnlichen Geschäftsführung noch ein Zustimmungserfordernis zur Ausübung der Gesellschafterrechte in der T-GmbH durch die Geschäftsführer der M-GmbH.

Für eine Weisung gegenüber den Geschäftsführern der M-GmbH im Sinne von § 37 Abs. 1 Alt. 2 GmbHG fehlte dem Kläger die entsprechende Berechtigung, da er nur mit 10% am Stammkapital der M-GmbH beteiligt war. Ein entsprechender Beschluss der Gesellschafterversammlung der M-GmbH hätte einer Mehrheit von 91% bedurft.

BSG, Urteil vom 23.02.2021, B 12 R 18/18 R

Im Ergebnis muss der betroffene Geschäftsführer der Tochtergesellschaft kraft seiner Beteiligung an der Muttergesellschaft oder auf Basis des Gesellschaftsvertrages in der Lage sein, in der Muttergesellschaft einen entsprechenden Weisungsbeschluss herbeizuführen. Eine einfache oder qualifizierte Sperrminorität reicht hierfür nicht aus.

7. BSG zum Beherrschungsvertrag zwischen Muttergesellschaft und Tochtergesellschaft

Auch der Beschluss der Gesellschafterversammlung der M-GmbH zur Geschäftsführung der T-GmbH vom 2.10.2014 sowie der Beherrschungsvertrag mit der T-GmbH waren nicht geeignet, dem Kläger in seinem Sinne eine maßgebende Einflussnahme auf die Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der T-GmbH zu vermitteln.

Mit einem Beherrschungsvertrag unterstellt eine GmbH ihre Leitung einem anderen Unternehmen (vgl. § 291 Abs. 1 S. 1 AktG); zur Anwendbarkeit im GmbH-Recht vgl. Beschluss des BGH vom 24.10.1988, II ZB 7/88). Die Geschäftsführer des herrschenden Unternehmens sind berechtigt, der Geschäftsführung der beherrschten Gesellschaft hinsichtlich deren Leitung unmittelbar ohne Umweg über die Gesellschafterversammlung Weisungen zu erteilen (§ 308 Abs. 1 S. 1 AktG in entsprechender Anwendung). Der Kläger war somit als Geschäftsführer der T-GmbH unverändert den Weisungen der Geschäftsführer der M-GmbH unterworfen.

BSG, Urteil vom 23.02.2021, B 12 R 18/18 R

Dieses Urteil des BSG vom 23.02.2021 (B 12 R 18/18 R) ist trotz seiner konsequenten Fortsetzung der Rechtsprechung erneut eine Herausforderung und wichtige Hausaufgabe für Rechtsanwälte, die sich mit der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der GmbH-Geschäftsführer beschäftigen.

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