Der für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH hat heute über die in Wissenschaft und Justiz vielfach diskutierte Frage entschieden, ob ein Mieter von gewerblich genutzten Räumen für die Zeit einer behördlich angeordneten Geschäftsschließung während der COVID19-Pandemie (Lockdown) zur vollständigen Zahlung der Miete verpflichtet ist. Im Ergebnis hat der BGH eine pauschale Halbierung der Gewerbemiete im Sinne des Urteils des OLG Dresden und anderer Gerichte abgelehnt, aber einen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage grundsätzlich anerkannt. Ob und inwieweit der Mieter gewerblicher Räume eine Herabsetzung der Miete verlangen kann, ist anhand der Umstände des Einzelfalls im Rahmen einer Abwägung zu entscheiden. Es ist die erste zentrale Entscheidung des BGH zu schwierigen Rechtsfragen aufgrund der Corona-Pandemie und den damit wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Unternehmen.

Ausgangslage im Frühjahr 2020: Deutschland im Lockdown

Wegen des sich verbreitenden SARS-CoV-Virus (Corona-Pandemie) im Frühjahr 2020 mussten viele Einzelhandelsunternehmen infolge eines staatlich angeordneten Lockdowns ihre Geschäfte schließen. Es folgte eine umstrittene Debatte unter Juristen, ob diese Unternehmen berechtigt sind, eigenmächtig die Miete hälftig oder gar vollständig zu kürzen. Eines dieser betroffenen Unternehmen war der Textildiscounter Kik mit unzähligen Filialen in Deutschland, darunter auch eine Filiale im Raum Chemnitz.

Zur Erinnerung: Zu Beginn der Corona-Pandemie gab es noch keine staatlichen Überbrückungshilfen für Unternehmen. Betriebsschließungsversicherungen lehnten in vielen Fällen einen Versicherungsschutz ebenfalls ab. Etliche gewerbliche Mieter argumentierten damit, dass sie aufgrund der behördlich angeordneten und pandemie-bedingten Schließung nicht mehr zur Zahlung des Miete verpflichtet seien. Es liege ein Mangel der Mietsache bzw. eine Störung der Geschäftsgrundlage vor, so dass diesbezüglich eine Vertragsanpassung für den entsprechenden Zeitraum vorzunehmen sei.

Im Falle der Kik-Filiale in Chemnitz bestand die Vermieterin ungeachtet der staatlichen Schließungsanordnung auf Zahlung der vollständige Miete und klagte.

Mit dem heutigen Urteil des BGH kann man sagen, dass nun beide Parteien etwas gewonnen und verloren haben. Es ist ein Urteil, das etwas Sicherheit in der Praxis bringt, allerdings keine pauschale Lösung für jeden Einzelfall bereit hält.

KIK ./. Vermieter wegen Miete

Dem Urteil des BGH vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21) war folgender Rechtsstreit vorausgegangen: Wegen des sich verbreitenden SARS-CoV-Virus (Corona-Pandemie) im Frühjahr 2020 erließ das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt im März 2020 zwei Allgemeinverfügungen, aufgrund derer eine Filiale des Textil-Discounters Kik im Raum Chemnitz ihren Laden in einem Mietobjekt für einen Zeitraum von rund 4 Wochen im März und April 2020 schließen musste. Infolge der behördlich angeordneten Betriebsschließung entrichtete Kik für den Monat April 2020 keine Miete. Hierauf klagte der Vermieter auf Zahlung der Miete für April 2020.

Während das LG Chemnitz mit Urteil vom 26.08.2020 entschieden hatte, dass Kik trotz der angeordneten Geschäftsschließung die volle Miete zu zahlen habe, kam das OLG Dresden zum Ergebnis, dass eine hälftige Mietkürzung in Ordnung sei. Es hat die erstinstanzliche Entscheidung des LG Chemnitz aufgehoben und Kik unter Abweisung der Klage im Übrigen zur Zahlung einer hälftigen Miete verurteilt. Das OLG Dresden sah infolge der Corona-Pandemie und der staatlichen Schließungsanordnung eine Störung der Geschäftsgrundlage des Mietvertrags i.S.v. § 313 Abs. 1 BGB. Infolgedessen sei ein Anpassung des Mietvertrags dahin geboten, dass die Kaltmiete für die Dauer der angeordneten Schließung auf die Hälfte reduziert werde.

BGH-Urteil vom 12.01.2022

Der BGH hat nunmehr mit Urteil vom 12.01.2022 die Entscheidung des OLG Dresden aufgehoben und die Sache an dieses zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zurückverwiesen.

Ergänzend hat der BGH darauf hingewiesen, dass im Falle einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie erfolgt, ein Anspruch des Mieters von gewerblich genutzten Räumen auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB grundsätzlich in Betracht kommt.

BGH verneint Mangel der Mietsache, bejaht aber grundsätzlich Störung der Geschäftsgrundlage

Die Anwendbarkeit der mietrechtlichen Gewährleistungsvorschriften und der Regelungen im allgemeinen Schuldrecht, insbesondere die Regelung in § 313 BGB zum Wegfall der Geschäftsgrundlage, ist durch die für die Zeit vom 1.04.2020 bis zum 30.09.2022 geltende Vorschrift des Art. 240 § 2 EGBGB ausgeschlossen. Nach Ansicht des BGH hat diese Vorschrift nach ihrem eindeutigen Wortlaut und ihrem Gesetzeszweck allein eine Beschränkung des Kündigungsrechts des Vermieters zum Ziel. Zur Höhe der geschuldeten Miete enthält sie keine Aussage.

Die auf den Allgemeinverfügungen des Sächsischen Staatsministeriums beruhende Betriebsschließung hat jedoch nicht zu einem Mangel des Mietgegenstands i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB geführt. Das OLG Dresden hat daher eine Minderung der Miete gem. § 536 Abs. 1 BGB zu Recht abgelehnt. Ergeben sich aufgrund von gesetzgeberischen Maßnahmen während eines laufenden Mietverhältnisses Beeinträchtigungen des vertragsmäßigen Gebrauchs eines gewerblichen Mietobjekts, kann dies zwar einen Mangel i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB begründen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die durch die gesetzgeberische Maßnahme bewirkte Gebrauchsbeschränkung unmittelbar mit der konkreten Beschaffenheit, dem Zustand oder der Lage des Mietobjekts in Zusammenhang steht. Die mit der Schließungsanordnung verbundene Gebrauchsbeschränkung der Beklagten erfüllt diese Voraussetzung nicht. Die behördlich angeordnete Geschäftsschließung knüpft allein an die Nutzungsart und den sich daraus ergebenden Publikumsverkehr an, der die Gefahr einer verstärkten Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus begünstigt und der aus Gründen des Infektionsschutzes untersagt werden sollte. Durch die Allgemeinverfügung wird jedoch weder der Beklagten die Nutzung der angemieteten Geschäftsräume im Übrigen noch der Klägerin tatsächlich oder rechtlich die Überlassung der Mieträumlichkeiten verboten. Das Mietobjekt stand daher trotz der Schließungsanordnung weiterhin für den vereinbarten Mietzweck zur Verfügung. Das Vorliegen eines Mangels i.S.v. § 536 Abs. 1 Satz 1 BGB ergibt sich auch nicht aus dem im vorliegenden Fall vereinbarten Mietzweck der Räumlichkeiten zur “Nutzung als Verkaufs- und Lagerräume eines Einzelhandelsgeschäfts für Textilien aller Art, sowie Waren des täglichen Ge- und Verbrauchs”. Die Beklagte konnte nicht davon ausgehen, dass die Klägerin mit der Vereinbarung des konkreten Mietzwecks eine unbedingte Einstandspflicht auch für den Fall einer hoheitlich angeordneten Öffnungsuntersagung im Falle einer Pandemie übernehmen wollte.

BGH, Urteil vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21)

BGH zum Anspruch auf Vertragsanpassung

Dem Mieter von gewerblich genutzten Räumen kann jedoch im Fall einer Geschäftsschließung, die aufgrund einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erfolgt, grundsätzlich ein Anspruch auf Anpassung der Miete wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 Abs. 1 BGB zustehen.

Aufgrund der vielfältigen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie wie Geschäftsschließungen, Kontakt- und Zugangsbeschränkungen und der damit verbundenen massiven Auswirkungen auf das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 ist im vorliegenden Fall die sogenannte große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht ändern und die Sozialexistenz nicht erschüttert werde. Diese Erwartung der Parteien wurde dadurch schwerwiegend gestört, dass die Beklagte aufgrund der zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie erlassenen Allgemeinverfügungen ihr Geschäftslokal in der Zeit vom 19. März 2020 bis einschließlich 19. April 2020 schließen musste. Dafür, dass bei einer zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie behördlich angeordneten Betriebsschließung die tatsächliche Voraussetzung des § 313 Abs. 1 Satz 1 BGB einer schwerwiegenden Störung der Geschäftsgrundlage erfüllt ist, spricht auch die neu geschaffene Vorschrift des Art. 240 § 7 EGBGB. Danach wird vermutet, dass sich ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat, wenn vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind.

BGH, Urteil vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21)

Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Wegfall der Geschäftsgrundlage im Einzelfall

Allein der Wegfall der Geschäftsgrundlage gem. § 313 Abs. 1 BGB berechtigt jedoch noch nicht zu einer Vertragsanpassung. Vielmehr verlangt die Vorschrift als weitere Voraussetzung, dass dem betroffenen Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Beruht die enttäuschte Gewinnerwartung des Mieters wie im vorliegenden Fall auf einer hoheitlichen Maßnahme zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wie einer Betriebsschließung für einen gewissen Zeitraum, geht dies über das gewöhnliche Verwendungsrisiko des Mieters hinaus. Denn die wirtschaftlichen Nachteile, die ein gewerblicher Mieter aufgrund einer pandemiebedingten Betriebsschließung erlitten hat, beruhen nicht auf unternehmerischen Entscheidungen oder der enttäuschten Vorstellung, in den Mieträumen ein Geschäft betreiben zu können, mit dem Gewinne erwirtschaftet werden. Sie sind vielmehr Folge der umfangreichen staatlichen Eingriffe in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben zur Bekämpfung einer Pandemie, für die keine der beiden Mietvertragsparteien verantwortlich gemacht werden kann.

Pauschale Lösung nicht möglich

Durch die Corona-Pandemie hat sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, das von der mietvertraglichen Risikoverteilung ohne eine entsprechende vertragliche Regelung nicht erfasst wird. Das damit verbundene Risiko kann regelmäßig keiner Vertragspartei allein zugewiesen werden.

Dies bedeutet aber nicht, dass der Mieter stets eine Anpassung der Miete für den Zeitraum der Schließung verlangen kann. Ob dem Mieter ein Festhalten an dem unveränderten Vertrag unzumutbar ist, bedarf auch in diesem Fall einer umfassenden Abwägung, bei der sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (§ 313 Abs. 1 BGB).

Eine pauschale Betrachtungsweise wird den Anforderungen an dieses normative Tatbestandsmerkmal der Vorschrift nicht gerecht. Deshalb kommt die vom Oberlandesgericht vorgenommene Vertragsanpassung dahingehend, dass ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände die Miete für den Zeitraum der Geschäftsschließung grundsätzlich um die Hälfte herabgesetzt wird, weil das Risiko einer pandemiebedingten Gebrauchsbeschränkung der Mietsache keine der beiden Mietvertragsparteien allein trifft, nicht in Betracht. Es bedarf vielmehr einer umfassenden und auf den Einzelfall bezogenen Abwägung, bei der zunächst von Bedeutung ist, welche Nachteile dem Mieter durch die Geschäftsschließung und deren Dauer entstanden sind. Diese werden bei einem gewerblichen Mieter primär in einem konkreten Umsatzrückgang für die Zeit der Schließung bestehen, wobei jedoch nur auf das konkrete Mietobjekt und nicht auf einen möglichen Konzernumsatz abzustellen ist. Zu berücksichtigen kann auch sein, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu vermindern.

BGH, Urteil vom 12.01.2022 (XII ZR 8/21)

BGH zu Kriterien bei der Abwägung im Einzelfall

Da eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage aber nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen darf, sind bei der Prüfung der Unzumutbarkeit grundsätzlich auch die finanziellen Vorteile zu berücksichtigen, die der Mieter aus staatlichen Leistungen zum Ausgleich der pandemiebedingten Nachteile erlangt hat. Dabei können auch Leistungen einer ggf. einstandspflichtigen Betriebsversicherung des Mieters zu berücksichtigen sein. Staatliche Unterstützungsmaßnahmen, die nur auf Basis eines Darlehens gewährt wurden, bleiben hingegen bei der gebotenen Abwägung außer Betracht, weil der Mieter durch sie keine endgültige Kompensation der erlittenen Umsatzeinbußen erreicht. Eine tatsächliche Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Mieters ist nicht erforderlich. Schließlich sind bei der gebotenen Abwägung auch die Interessen des Vermieters in den Blick zu nehmen.

Zurückverweisung des Rechtsstreits an das OLG Dresden

Das OLG Dresden hat nach der Zurückverweisung nunmehr zu prüfen, welche konkreten wirtschaftlichen Auswirkungen die Geschäftsschließung in dem streitgegenständlichen Zeitraum hatte und ob diese Nachteile ein Ausmaß erreicht haben, das eine Anpassung des Mietvertrages erforderlich macht.

Der BGH hat ergänzend darauf hingewiesen, dass es bei dieser Abwägung auch darauf ankommt, welche Maßnahmen der Mieter ergriffen hat oder ergreifen konnte, um die drohenden Verluste während der Geschäftsschließung zu mindern. Ferner sind staatliche Hilfen zum Ausgleich pandemiebedingter Nachteile oder Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung zu berücksichtigen.

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