Im Streitfall vor dem LSG Baden-Württemberg ging es um die vermeintliche Scheinselbständigkeit eines Softwareentwicklers, der über sechs Monate als “freier” Programmierer bzw. IT-Berater im Rahmen eines Projekts bei einer Aktiengesellschaft beschäftigt war. Auf den Statusfeststellungsantrag des Softwareentwicklers stellte die Deutsche Rentenversicherung eine abhängige Beschäftigung bei der Aktiengesellschaft fest und bejahte damit dessen Versicherungspflicht. Es folgte ein erfolgloses Widerspruchsverfahren mit anschließender Klage beim SG Karlsruhe, die mit Urteil vom 30.01.2020 kostenpflichtig abgewiesen wurde. Mit der Berufung gegen das Urteil des SG Karlsruhe war der Kläger dann schließlich erfolgreich, was anderen Betroffenen Mut machen sollte.

Softwareentwickler als freie Mitarbeiter

Das Problem der vermeintlichen Scheinselbständigkeit betrifft in erster Linie (aber nicht nur) freie Mitarbeiter und Subunternehmer, die häufig in Projekten für einen Auftraggeber arbeiten. Beide Vertragspartner unterliegen diesbezüglich häufig dem Irrtum, dass allein die Bezeichnung als “Freier-Mitarbeiter-Vertrag” zur Lösung des Problems ausreichend wäre.

Heutzutage sind Softwareentwickler als freie Mitarbeiter keine Seltenheit, ganz im Gegenteil. Entscheiden sich Auftraggeber oder Softwareentwickler zur Durchführung eines Statusfeststellungsverfahrens bei der Deutschen Rentenversicherung, kommt es leider immer wieder zu negativen Überraschungen. Dies war auch im Streitfall so, den das LSG Baden-Württemberg in zweiter Instanz mit Urteil vom 17.122021 (L 8 BA 1374/20) entschieden hat.

Der Tätigkeit des Softwareentwicklers für die Aktiengesellschaft lag ein Rahmenvertrag sowie ein für das Projekt explizit geschlossener Einzelvertrag zu Grunde. Im Rahmenvertrag regelten die Vertragsparteien unter anderem den Vertragsgegenstand und die Vergütung:

Vertragsgegenstand

Der Auftragnehmer wird für den Auftraggeber im Projekt als freier Softwareentwickler tätig. Durch vom Auftraggeber erteilte Einzelaufträge werden die anfallenden Aufgaben vereinbart. Der Einsatz von Erfüllungsgehilfen bedarf der Zustimmung des Auftraggebers.

Vergütung

Der Auftragnehmer erhält für seine nach § 1 dieses Vertrages erbrachte Tätigkeit ein Tageshonorar von 524 EUR zuzüglich der gesetzlichen Mehrwertsteuer, soweit einzelvertraglich nichts anderes vereinbart wird. Die Tätigkeitsvergütung ist vom Auftragnehmer kalendermonatlich im Nachhinein unter Vorlage eines vom Auftraggeber abgezeichneten Tätigkeitsnachweises abzurechnen und 14 Tage nach Rechnungseingang beim Auftraggeber zur Zahlung fällig. Der Tätigkeitsnachweis enthält eine Auflistung der erbrachten Tätigkeiten mit den jeweils benötigten Aufwendungen in Tagen zu acht Stunden.

Verhältnisse des Auftragnehmers zu Dritten

Der Auftragnehmer hat das Recht, auch für Dritte Auftraggeber tätig zu sein. Einer vorherigen Zustimmung des Auftraggebers bedarf es nicht, es sei denn, bei dem Dritten handelt es sich um einen Wettbewerber des Auftraggebers.

In einem Projekt- bzw. Einzelvertrag vereinbarten die Vertragsbeteiligten folgende Tätigkeitsbeschreibung:

Tätigkeiten im Zusammenhang mit Software-Engineering im Rahmen des genannten Projekts für die aufgeführten Systeme:

– professionelle Entwicklung von Software im agilen Scrum-Prozess;

– Umsetzung von Entwicklung-Storys im Scrum-Prozess;

– Erstellung von Aufwandschätzungen;

– Teilnahme an Daily-Scrums, Sprint-Plannings, Sprint Reviews sowie Sprint Retrospektiven;

– Konzeption individueller Gesamtlösungen (wirtschaftlich, algorithmisch, technologisch);

Tätigkeiten im Bereich Produktkonfiguration:

– Erstellung von Testkatalogen;

– Betreuung, Durchführung und Dokumentation von Software-Tests;

– Systemdokumentation.

Regelmäßig Fangfragen der Deutschen Rentenversicherung während des Statusfeststellungsverfahrens

Auf Rückfrage der Deutschen Rentenversicherung im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens machte der Kläger folgende Ergänzungen:

1. Er übe die Tätigkeit aus Gründen der IT-Sicherheit in den Räumen des Auftraggebers aus, wo er ein Schreibtisch des Auftraggebers nutze, auf dem ein Schild mit dem Namen seines Unternehmens angebracht sei.

2. Es gebe regelmäßige Besprechungen des Projektteams, wobei er an unternehmensinternen Besprechungen des Auftraggebers nicht teilnehme. Der Großteil der Kommunikation erfolge mit dem Projektleiter des Auftraggebers. Täglich werde ein kurzes Status-Meeting durchgeführt. Ein- bis zweimal wöchentlich erfolgten ca. zweistündige Meetings bezüglich der Aufwandsschätzung und Planung der nächsten Wochen.

3. Begünstigungen in der Kantine des Auftraggebers würden für ihn nicht gelten.

4. Die Tätigkeit für den Auftraggeber beschränke sich in der Regel auf drei bis vier Arbeitstage pro Woche zu je 8 Arbeitsstunden.

5. Er pflege einen eigenen Internetauftritt und mache Werbung für Softwareprojekte und eigene kommerzieller Softwarelösungen.

6. Hierfür sei auch die Gründung einer GmbH geplant, um sich mittelfristig von der Notwendigkeit von Auftragsarbeiten unabhängig zu machen.

Hervorzuheben ist hier, dass der Kläger seinen Auftrag “in den Räumen des Auftraggebers” ausführte, was aus Sicht der Deutschen Rentenversicherung eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers nahelegt.

LSG Baden-Württemberg verneint Scheinselbständigkeit des Softwareentwicklers

In den Entscheidungsgründen führt das LSG Baden-Württemberg diesbezüglich jedoch überraschenderweise aus, dass sich eine Eingliederung des Klägers in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers und eine Weisungsabhängigkeit zur Überzeugung des Senats nicht feststellen lässt:

Der Kläger wurde zwar in den Räumen des Auftraggebers tätig. Dies war jedoch den sicherheitstechnischen Gegebenheiten geschuldet, welche eine Arbeit über einen Remote – Zugriff in den eigenen Arbeitsräumen des Klägers nicht erlaubten. Diese Umstände sind jedoch bei grundsätzlich sicherheitsrelevanten Arbeiten an Datenstrukturen im Unternehmensbereich üblich und aus Sicherheitsgründen auch oftmals unumgänglich und können daher vorliegend nicht ohne Weiteres als Argument für eine Eingliederung des Klägers in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers gewertet werden. Entscheidend sind daher vielmehr die konkreten Umstände der Tätigkeit des Klägers.

LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.122021 (L 8 BA 1374/20)

In den weiteren Erläuterungen führt das LSG Baden-Württemberg dann wie folgt aus:

Entscheidend für die Eingliederung ist die Abgrenzbarkeit der Tätigkeit des Klägers im Vergleich zu den Tätigkeiten der angestellten Programmierer des Aufttraggebers im Rahmen des konkreten Projekts. Der Auftraggeber hat sowohl in der mündlichen Verhandlung als auch im Erörterungstermin nachvollziehbar erläutert, dass der Kläger aufgrund seiner Spezialkenntnisse eine Sonderstellung eingenommen hat und daher bei der Aufteilung der Arbeitspakete sich die für ihn in Frage kommenden Arbeitspakete aussuchen konnte. Insofern hat er seine Ergebnisse auch in einen separaten Entwicklungszweig eingestellt, was die Sonderstellung nochmals verdeutlicht.

Im Unterschied zu den angestellten Programmierern hat der Kläger auch nur solche Arbeitspakete bearbeitet, welche sein Fachgebiet betrafen und in der Folge auch nur an solchen Besprechungen teilgenommen, welche die von ihm bearbeiteten Bereiche betrafen. Der Auftraggeber hatte auch keine rechtliche Möglichkeit, den Kläger zu anderen Projekten heranzuziehen. Nach § 4 des Rahmenvertrags hatte der Kläger zudem die Möglichkeit, einzelne Aufträge ohne Angabe von Gründen abzulehnen. Der Auftraggeber konnte dem Kläger keine Weisungen erteilen, sondern lediglich die vertraglich festgelegten Tätigkeiten im Rahmen des konkreten Projekts fordern. Eine Eingliederung und insbesondere eine generelle Verfügbarkeit des Klägers für den Auftraggeber im Rahmen des Projekts war daher nicht gegeben.

Darüberhinaus verweist das LSG Baden-Württemberg auch auf den deutlich höheren Stundensatz des Klägers im Vergleich zu den angestellten Programmierern des Auftraggebers.

LSG Baden-Württemberg bejaht Unternehmerrisiko des Softwarenentwicklers

Softwareentwickler benötigen nur selten einen nennenswerten Einsatz von Kapital und die wenigsten haben ein eigenes Büro, insbesondere während der Coronapandemie.

Die Deutsche Rentenversicherung macht es sich diesbezüglich sehr einfach und verweist in den Statusfeststellungsentscheidungen zu Softwareentwicklern regelmäßig auf das fehlende Unternehmerrisiko und bejaht dann mit dieser Begründung die Scheinselbständigkeit.

Auch das LSG Baden-Württemberg nimmt dazu in seinem Urteil vom 17.12.2021 ausführlich Stellung.

Ein gewichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit ist das mit dem Einsatz eigenen Kapitals verbundene Unternehmerrisiko. Maßgebliches Kriterium für ein solches Risiko eines Selbstständigen ist, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der tatsächlichen und sächlichen Mittel also ungewiss ist (BSG, Urteil vom 12.12.1990, 11 RaR 73/90; BSG, Urteil vom 28.05.2008, B 12 KR 13/07 R).

Die weitere Begründung des LSG Baden-Württemberg widerspricht dann nahezu jeder mir bekannten Begründung der Deutschen Rentenversicherung zum Softwareentwickler, Programmierer oder sonstigen technischen Beratern.

Es ist zu beachten, dass es sich bei dem Bereich der Softwareentwicklung um eine betriebsmittelarme Dienstleistungsbranche handelt, die im Wesentlichen durch den bloßen Einsatz von Know-How geprägt wird. Die Entlohnung erfolge vorliegend zwar durch ein festes Tageshonorar in Höhe von 524 Euro. Der Kläger unterlag jedoch durch die Regelung in § 2 Ziff. 2 des Rahmenvertrages trotz Vereinbarung eines Tageshonorars von 524 € und Vereinbarung von 40 Personentagen einem Unternehmerrisiko, da der Auftraggeber keine Mindestabnahme zugesagt hat. Auch Kosten für den Bürobetrieb, technische Vorrichtungen und Sonstiges war nach § 7 des Rahmenvertrages vom Auftragnehmer zu tragen.

Zwar hatte der Kläger im konkreten Auftragsverhältnis nicht das Risiko zu tragen, ob der Einsatz seiner Arbeitskraft überhaupt mit einem Entgelt entlohnt wird, da eine Vergütung mit festem Tagessatz nach geleisteten Arbeitsstunden erfolgte. Grundsätzlich spricht die Vereinbarung eines festen Stundenhonorars nicht zwingend für abhängige Beschäftigung. Wenn es um reine Dienstleistungen geht, ist anders als bei der Erstellung eines materiellen Produkts ein erfolgsabhängiges Entgelt aufgrund der Eigenheiten der zu erbringenden Leistung nicht zu erwarten (BSG, Urteil vom 31.03.2017, B 12 R 7/15 R).

Der Kläger unterlag zudem auch durch § 9 des Rahmenvertrages einem Haftungsrisiko. Da keine Mindestabnahme zugesichert war, hätte der Auftraggeber überdies bei einer nicht zufriedenstellenden Leistung die Zusammenarbeit mit dem Kläger beendet.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nach Ansicht des LSG Baden-Württemberg nicht vor. Das ist erfreulich für den Kläger, aber hier hätte ich mir eine Bestätigung des Bundessozialgerichts im Sinne bundesweiter Rechtssicherheit gewünscht.

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