Bundeskanzler Scholz sprach neulich von einer Zeitenwende, die er mit dem Krieg in der Ukraine verknüpfte. Über Zeitpunkt und Ursache darf man allerdings durchaus diskutieren. Andere sind der Meinung, dass schon die Coronapandemie seit März 2020 zu einer Zeitenwende mit tektonischen Verschiebungen in der bestehenden Weltordnung geführt bzw. diese nochmals beschleunigt hat. Ich würde den Eintritt auf einen noch früheren Zeitpunkt datieren, aber letztendlich spielt das keine entscheidende Rolle mehr. Im Ergebnis haben wir es mit vier miteinander verwobenen Megatrends bzw. deren Ende zu tun. Diese haben dazu geführt, dass die Menschheit in ein neues Zeitalter katapultiert wurde: Klimawandel, Ende der Pax Americana, Digitale Revolution und Demographischer Wandel.

Die Sprengkraft von Megatrends

Die Sprengkraft jeder dieser Trends ist schon für sich alleine enorm, aber in der Summe bzw. in dieser Kombination einzigartig. Es ist zu betonen, dass diese Megatrends nicht unabhängig voneinander existieren, sondern sich gegenseitig beeinflussen und verstärken, aber auch Lösungen bereitstellen. Wie wir in den vergangenen Wochen gelernt haben, lassen sich die Themen Klimawandel, Energie und Sicherheit keinesfalls mehr getrennt voneinander behandeln. Alles ist miteinander verbunden, was es schwer macht, den exakten Zeitpunkt der Zeitenwende zu bestimmen.

Die Zeitenwende

Hinter uns liegen sieben Jahrzehnte Pax Americana, die eine Globalisierung und die Integration billiger Arbeiter in China in die Weltwirtschaft ermöglicht hat. Gleichzeitig profitierten die Menschen und Unternehmen in den westlichen Industrienationen von sinkenden Zinsen und niedriger Inflation. Es war ein goldenes Zeitalter für das Kapital und den Kapitalismus. Nicht so sehr für Flora und Fauna, das Klima und die arbeitenden Menschen in den westlichen Industrienationen, deren Löhne und Gehälter unter nachhaltigem Druck standen. Diese Zeit der Stabilität und des Friedens ist zu Ende.

Klimawandel

Die Gefahren des Klimawandels schienen Ende der 1970er Jahre noch weit weg. Und dennoch berichtete die Tagesschau schon 1979 von der ersten Klimakonferenz. Seitdem warnen Wissenschaftler ziemlich erfolglos davor, den eingeschlagenen Kurs unverändert fortzusetzen.

Mit dem späteren Zusammenbruch der Sowjetunion wollte die Siegesfeier des Kapitalismus nicht mehr enden. Die Globalisierung konnte dank Pax Americana und billigem Öl und Gas aus Russland nochmals richtig durchstarten. Der Westen war im Siegestaumel und berauscht von einem Gefühl “Alles ist möglich”. Im Nachhinein war es das Jahrzehnt verlorener Chancen.

Gleichzeitig nahmen die Warnungen vor einem Klimawandel zu, aber sie passten nicht so richtig ins Konzept der Eliten in Washington, London, Davos oder Berlin, die nur “Mehr” im Sinn hatten. Die spätere Kanzlerin Angela Merkel wurde damals gerade Umweltministerin im Kabinett Kohl. In Sachen Klimawandel herrschte eher eine Vogel-Strauss-Politik. Es geschah wenig bis garnichts. Viel wichtiger war die Erschließung neuer Märkte, die sich im Osten nach und nach öffneten, allen voran in China. “Wandel durch Handel” war das Zauberwort, auch wenn die Politiker von heute sich ungern daran erinnern wollen.

Ende der Pax Americana

Eine erste Zeitenwende erlebten wir am 11. September 2001, als die Pax Americana endete. Zumindest war der Angriff auf die USA der Anfang vom Ende des Friedens und der Stabilität. Jeder weiß heute noch, wo er exakt in dem Augenblick war, als die Türme des World Trade Center fielen. Manche setzen das Ende der Pax Americana mit dem Niedergang der USA gleich, was ich persönlich für einen großen Irrtum halte. Die USA kann und will sich den globalen Führungsanspruch finanziell und innenpolitisch nicht mehr leisten. Darüberhinaus wird die Pax Americana von einigen bedeutenden Nationen nicht mehr toleriert, allen voran Russland und China.

In Deutschland hatten wir das große Glück, in dieser Zeit des Friedens und der Stabilität zu leben, was allerdings beides schon länger immer brüchiger wurde. Der Angriff Russlands auf die Ukraine ist daher weniger eine Zeitenwende als ein weiterer Meilenstein in diesem Prozeß. In einem bayerischen Bierzelt beschrieb die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel das Phänomen wie folgt:

“Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen. Natürlich in Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Aber wir müssen wissen, dass wir für unsere Zukunft selbst kämpfen müssen. Als Europäer.”

Allerdings waren dies nur Worte im Wahlkampfgetöse 2017, denen keine Handlungen oder gar eine Strategie folgten. Es folgte vielmehr eine grandiose Wahlniederlage der CDU/CSU bei der Bundestagswahl 2017 und notgedrungen eine Fortsetzung der Großen Koalition mit der SPD, die unser Land für weitere vier Jahre gefangen hielt.

Beginn des Digitalen Zeitalters

Gleichzeitig nahm die Digitale Revolution Anfang des 21. Jahrhunderts langsam Fahrt auf. Die ersten Tech-Giganten und Gewinner des exponentiellen Zeitalters erschienen auf der Bühne: Google, Amazon und Apple, dicht gefolgt von den Herausforderern aus China. Einstige Businessleader und Börsenlieblinge verpassten erst das Internet, dann das Smartphone und mussten infolgedessen einen jähen und erbarmungslosen Absturz hinnehmen. Dieser Megatrend beschleunigte sich unaufhaltsam. Die Liste der Gewinner wurde kleiner, die Liste der Verlierer immer größer.

Nur wenige waren in der Lage, nach und nach die Dimensionen, Möglichkeiten und Gefahren exponentiellen Wachstums zu begreifen, die u.a. von Moore`s Law, Internet, Netzwerkeffekten, Big Data und Künstlicher Intelligenz angetrieben werden. Man ist geneigt zu sagen, dass die echte Zeitenwende hier stattfindet. Nahezu unbemerkt vor unseren Augen. Künstliche Intelligenz steckt nicht mehr in den Kinderschuhen und erste Erfolge der Quantencomputer lassen die Umrisse des digitalen Zeitalters erahnen.

Die zunehmende Bedeutung von Daten für Regierungen und Unternehmen in allen möglichen Branchen und Größen wird zu einem tiefgreifenden Wandel in der Wirtschaft führen. Regierungshandeln und wirtschaftliche Entscheidungen werden sich nicht mehr (allein) auf menschliches Know-How, Logik und Verstand oder Erfahrungen stützen, sondern auf alle Arten von Daten (Big Data). Mehr und mehr wird Künstliche Intelligenz in diesen Prozeß integriert, um vorhandene Daten zu analysieren und neue Daten zu sammeln, um so zu neuen Erkenntnissen zu gelangen oder schnellere und bessere Enscheidungen zu treffen. Je mehr Daten und Rechenleistung zur Verfügung stehen, desto autonomer findet dieser Prozeß statt. Daten werden zu einem “Rohstoff”, aus deren Nutzung Regierungen und Unternehmen einen Mehrwert für ihre Wirtschaft und Gesellschaft schaffen können. Die zunehmende Vernetzung digitaler Geräte, die Zunahme an Sensoren, neue Geschäftsideen und Berufe werden diesen Prozeß antreiben.

Demografischer Wandel

Im Vergleich zur Digitalisierung der Wirtschaft und Gesellschaft mag der demographische Wandel nicht so dramatisch erscheinen. Es wäre allerdings ein großer Fehler, die Folgen und Konsequenzen zu unterschätzen. Der Unternehmer Elon Musk ist sogar der Meinung, dass die “niedrige Geburtenrate die größte Bedrohung für die Zukunft unserer Zivilisation sein könnte”.

In Deutschland ist die Geburtenbilanz seit vielen Jahren negativ. Das zeigt die Infografik von Statista auf Basis von Daten des Bundesintituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Im vergangenen Jahr gab es in Deutschland das höchste Geburtendefizit seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Einfluss der Corona-Sterblichkeit auf diese Entwicklung verstärkte den Effekt, war aber nicht maßgeblich.

Infografik: Höchstes Geburtendefizit seit Ende des Zweiten Weltkriegs | Statista Mehr Infografiken finden Sie bei Statista

Die Anzahl der Länder, in denen innerhalb eines Jahres mehr Menschen sterben als geboren werden, nimmt stetig zu. Das zeigt diese Weltkarte, die ebenfalls auf Daten des BiB basiert. Deutschland war dabei weltweit das erste Land, in dem es solch ein Geburtendefizit gab: seit dem Jahr 1972 werden hier Jahr für Jahr weniger Menschen geboren als dass Menschen sterben.

Das zunehmende Geburtendefizit in immer mehr Nationen entzieht dem bestehenden Wirtschaftsmodell, das so sehr auf “mehr” beruht, die Basis.

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