Das LSG Berlin-Brandenburg hat mit Urteil vom 29.06.2022 entschieden, dass Kurierfahrer entgegen der Beurteilung des Auftraggebers abhängig beschäftigt, also scheinselbständig sind und infolgedessen der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Das Transportunternehmen als Auftraggeber muss mithin die Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung nachzahlen.

LSG Berlin-Brandenburg zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung der Kurierfahrer

Das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 29.06.2022 (L 28 BA 23/19) ist ein weiteres Urteil in einer langen Reihe von Entscheidungen der Sozialgerichte, in denen die Deutsche Rentenversicherung einen Erfolg verbuchen kann. Für Auftraggeber mit “freien Mitarbeitern” ist es definitiv schwieriger geworden, eine Scheinselbständigkeit zu vermeiden.

Auftraggeberin war hier ein Franchiseunternehmen in der Rechtsform einer GmbH mit Sitz in Berlin und der Vermittlung von Kurier- und Transportdienstleistungen als Unternehmensgegenstand. Unter der Marke „G“ hat sie eine Vermittlungszentrale für Botenfahrten und Kleintransporte entwickelt. In dem streitigen Streitraum waren ca. 90 Kurierfahrer für die Klägerin tätig, die sie sämtlich als selbständige Unternehmer behandelte und abrechnete. Die Deutsche Rentenversicherung war diesbezüglich jedoch anderer Meinung.

Die Kurierfahrer führten in den Jahren 2016 und 2017 mit dem eigenen Fahrzeug Transportaufträge durch, die sie vom Auftraggeber über eine App per Funk bzw. Mobiltelefon erhielten. Die Details zur Durchführung der Aufträge und die Vergütung hatten die Beteiligten in einem Rahmenvertrag geregelt. Ergänzend gab es ein Handbuch mit organisatorischen Tipps und Arbeitsanleitungen. Auftraggeber und Auftragnehmer vereinbarten, dass letztere die Transport- und Kurierfahrten im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und auf eigene Gefahr ausgeführen. Die Auftragnehmer bestimmten ihre Arbeitszeit und Funkteilnahme selbst. Ferner sei es ihnen freigestellt, angediente Transportaufträge anzunehmen. Nach Annahme eines Transportauftrages seien die Auftragnehmer nur an die Weisungen des Versenders gebunden. Die Vergütung der Auftragnehmer erfolge wiederrum durch den Auftragnehmer auf Basis der Transportkilometer über ein Entfernungsprogramm.

Deutsche Rentenversicherung verneint eine selbständige Tätigkeit der Kurierfahrer

Nach Beantragung eines Gründungszuschusses forderte das Jobcenter einen der Kurierfahrer auf, ein Statusfeststellungsverfahren bei der Deutschen Rentenversicherung durchzuführen. Hierauf stellte diese mit Bescheid vom 5. April 2017 fest, dass die Elemente einer abhängigen Beschäftigung überwiegen und daher eine Sozialversicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.

Abgrenzung “abhängige Beschäftigung” von selbständiger Tätigkeit

Nach einer Würdigung der Gesamtumstände der Tätigkeit der Kurierfahrer bejahte das LSG Berlin-Brandenburg das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung.

Wesentliche Freiräume der Auftragnehmer auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen in Verbindung mit den ergänzenden Vorgaben im “Handbuch” sind angesichts der beschriebenen Art und Weise der verbindlichen Auftragsvergabe und -durchführung nicht ersichtlich.

Im Rahmen dieser engen und nicht vertraglich abdingbaren Vertragsvorgaben mit der Annahme eines Einzelauftrags sind die Kurierfahrer fremdbestimmt und in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingebunden. Ob die Kurierfahrer die Büroräume des Auftraggebers nutzte oder nicht, ist angesichts der Art der Tätigkeit (Abholung und Auslieferung von Transportgütern) unerheblich.

LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 29.06.2022 (L 28 BA 23/19)

Erkennbare und eher für eine Selbständigkeit sprechende Anhaltspunkte, wie etwa die Nutzung eines eigenen Fahrzeugs und die vertraglich eröffnete, indes nicht praktizierte Möglichkeit zur Einsetzung von Hilfskräften waren nicht so erheblich, dass sie für das Vorliegen einer selbständigen Tätigkeit ausschlaggebend wären.

Das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg ist nicht rechtskräftig. Die Revision wurde zugelassen. Allerdings ist aus meiner Sicht nicht damit zu rechnen, dass seitens des BSG eine andere Entscheidung ergehen wird.

Muster und Vorlagen für Geschäftsführer:

formblitz-muster-vorlagen-pakete